Im Punjab

Fünf Flüsse und eine Grenze






1. Im Grenzland


2. Goldene Spiegelbilder


3. Chauvinismus als Event




1. Im Grenzland

Gepflegter Vollbart, eine Art Turban und der Nachname Singh. Das sind Attribute, die außerhalb Indiens im Allgemeinen seinen Bewohnern zugeschrieben werden. Falsch und richtig zugleich. Falsch, weil diese Kombination nur für die Volksgruppe der Sikhs zutrifft, deren kulturelles Zentrum sich im nördlichen Bundesstaat Punjab, dem „Fünfstromland“, befindet. Richtig, weil die Sikhs eine gewisse geschäftliche Begabung entwickelt, sich im britischen Weltreich umgetan und so in der Wahrnehmung früh präsent geworden sind.

Der Sikhismus hat mit der Staatsreligion Indiens, dem Hinduismus, wenig zu tun, ist allenfalls weit entfernt verwandt damit. Trotzdem werden seine Anhänger bei offiziellen Zählungen den Hindus zugeschlagen, möglicherweise um separatistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Denn es waren Sikhs in ihrer Wachmannschaft, die 1984 Indhira Ghandi ermordeten, um der Forderung nach einer Unabhängigkeit des Punjab Nachdruck zu verleihen. Zusätzlich brisant dadurch, daß der Punjab geteilt und der Westteil zum Staatsgebiet des Erzfeindes Pakistan gehört.

Zentren des Punjab sind auf pakistanischer Seite Lahore, auf indischer Amritsar, das kulturelle Zentrum des Sikhismus. Davon wird im Folgenden noch die Rede sein.




Sikhs auf dem Weg zu Goldenen Tempel von Amritsar.

 

2. Goldene Spiegelbilder

Stereotype sind Vereinfachungen und werden benutzt um Dinge zu beschreiben, über die man sich keine eigene Meinung bilden kann oder will. Manchmal entsprechen sie sogar der Wahrheit, wie im Falle Indiens die oft genutzte Charakterisierung als „Land der Kontraste“.

Auf den Goldenen Tempel in Amritsar passt diese Beschreibung so wie die berühmte Faust aufs Auge. Amritsar selbst unterscheidet sich nicht von jeder x-beliebigen indischen Großstadt: eine unbeschreibliche Geräuschkulisse aus hupenden Autos und kreischenden Menschen liefert den Soundtrack für die gnadenlosen Normen einer Gesellschaft, die immer noch vom Kastenwesen durchdrungen ist.

Mitten in diesem Getümmel aber liegt ein ruhender Pol, das zentrale Heiligtum der Sikhs, der Goldene Tempel von Amritsar. Genau genommen handelt es sich hier um einen Komplex mit dem goldenen Gotteshaus als zentralem Punkt. Hektik, Krach und Spannung bleiben hier außen vor. Menschen spazieren gelöst am Tempelteich entlang oder hängen einfach an seinem Ufer ab. Im Wasser spiegelt sich dazu der Goldene Tempel und liefert die Kulisse für religiöse Diskussionen und angeregte Gespräche.

Menschen jedweder Couleur kommen hier zusammen und tanken Ruhe für den Alltag, Bewohner von den Ausläufern des Karakorum, Geschäftsleute aus Bangalore, sogar eine Gruppe angegrauter Motorradwanderer aus dem Rheinland habe ich getroffen.

Vielleicht können meine Bilder etwas von der besonderen Stimmung dort rüberbringen.




Ein Wächter beschützt symbolisch das Heiligtum.



Vor dem goldenen Spiegelbild des Tempels findet er Muße.


Goldene Mauern als Kulisse für religiöse Diskussionen.



Mindestens genauso schön wie der Tempel: Inderinnen aus Kaschmir.


3. Chauvinismus als Event

Eine lange Prozession von Menschen windet sich Richtung Bühne. Fahnen werden geschwenkt, Preßluftfanfaren gedrückt. Fliegende Händler verkaufen Wasser, Tee und Dosa. Ab und zu findet sich ein Stand mit Fanartikeln, bunt und billig. Und doch zieht die Menschenkarawane nicht zu einem Cricketmatch, sondern die besten Plätze werden gesucht, um das Spektakel der Wachablösung an der indisch-pakistanischen Grenze beobachten zu können.

Soldaten beider Länder treten dort in einer ausgeklügelten Choreografie gegeneinander an und präsentieren ihre Wachbereitschaft in Form einer ritualisierten Provokation. Und die Show, die sie abliefern, ist wirklich gut! Jeder Schritt sitzt, jede Drehung passt. Die Gewehre sind blankgeputzt und die Uniformen phantasievoll drapiert. Manche behaupten, die ganze Aktion sei spontan, doch das kann nicht wahr sein. Dafür erscheinen die einzelnen Elemente zu perfekt und zu koordiniert, als daß es ohne Training ginge.

Ich hatte eher den Eindruck, daß das Hauptmotiv der Performance die Kanalisierung der Früchte nationalistischer Propaganda ist. Der jeweilige Nachbarstaat wird negativ dargestellt in den Medien und auch Kinder in der Schule ideologisch danach ausgerichtet. Kommt dann noch eine Gruppendynamik hinzu, bildet sich die Masse, die eben Fahnen schwenkt und chauvinistische Sprüche raushaut. Übrigens, meiner Beobachtung nach auf indischer Seite deutlich stärker ausgeprägt als auf pakistanischer.

Auf Aussenstehende wirkt das Ganze skurril und übertrieben, doch ein wenig bleibt der Eindruck von Glut im Kamin, die nur noch keiner angefacht hat.




Auf dem Weg zur nationalistischen Show, zum Wachwechsel an der Grenze.



Unschwer zu erkennen, wo man sich befindet.


Kein Zweifel, ein richtiger Fan.



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