Gepflegter
Vollbart, eine Art Turban und der Nachname Singh. Das sind Attribute, die
außerhalb Indiens im Allgemeinen seinen Bewohnern zugeschrieben werden. Falsch
und richtig zugleich. Falsch, weil diese Kombination nur für die Volksgruppe
der Sikhs zutrifft, deren kulturelles Zentrum sich im nördlichen Bundesstaat
Punjab, dem „Fünfstromland“, befindet. Richtig, weil die Sikhs eine gewisse
geschäftliche Begabung entwickelt, sich im britischen Weltreich umgetan und so
in der Wahrnehmung früh präsent geworden sind.
Der Sikhismus
hat mit der Staatsreligion Indiens, dem Hinduismus, wenig zu tun, ist
allenfalls weit entfernt verwandt damit. Trotzdem werden seine Anhänger bei
offiziellen Zählungen den Hindus zugeschlagen, möglicherweise um separatistischen
Tendenzen entgegenzuwirken. Denn es waren Sikhs in ihrer Wachmannschaft, die 1984
Indhira Ghandi ermordeten, um der Forderung nach einer Unabhängigkeit des
Punjab Nachdruck zu verleihen. Zusätzlich brisant dadurch, daß der Punjab
geteilt und der Westteil zum Staatsgebiet des Erzfeindes Pakistan gehört.
Zentren des
Punjab sind auf pakistanischer Seite Lahore, auf indischer Amritsar, das
kulturelle Zentrum des Sikhismus. Davon wird im Folgenden noch die Rede sein.
Sikhs auf dem Weg zu Goldenen Tempel von Amritsar. |
Stereotype sind
Vereinfachungen und werden benutzt um Dinge zu beschreiben, über die man sich
keine eigene Meinung bilden kann oder will. Manchmal entsprechen sie sogar der
Wahrheit, wie im Falle Indiens die oft genutzte Charakterisierung als „Land der
Kontraste“.
Auf den
Goldenen Tempel in Amritsar passt diese Beschreibung so wie die berühmte Faust
aufs Auge. Amritsar selbst unterscheidet sich nicht von jeder x-beliebigen
indischen Großstadt: eine unbeschreibliche Geräuschkulisse aus hupenden Autos
und kreischenden Menschen liefert den Soundtrack für die gnadenlosen Normen
einer Gesellschaft, die immer noch vom Kastenwesen durchdrungen ist.
Mitten in
diesem Getümmel aber liegt ein ruhender Pol, das zentrale Heiligtum der Sikhs,
der Goldene Tempel von Amritsar. Genau genommen handelt es sich hier um einen Komplex
mit dem goldenen Gotteshaus als zentralem Punkt. Hektik, Krach und Spannung
bleiben hier außen vor. Menschen spazieren gelöst am Tempelteich entlang oder
hängen einfach an seinem Ufer ab. Im Wasser spiegelt sich dazu der Goldene
Tempel und liefert die Kulisse für religiöse Diskussionen und angeregte
Gespräche.
Menschen jedweder
Couleur kommen hier zusammen und tanken Ruhe für den Alltag, Bewohner von den
Ausläufern des Karakorum, Geschäftsleute aus Bangalore, sogar eine Gruppe
angegrauter Motorradwanderer aus dem Rheinland habe ich getroffen.
Vielleicht
können meine Bilder etwas von der besonderen Stimmung dort rüberbringen.
Ein Wächter beschützt symbolisch das Heiligtum. |
Vor dem goldenen Spiegelbild des Tempels findet er Muße. | Goldene Mauern als Kulisse für religiöse Diskussionen. |
Mindestens genauso schön wie der Tempel: Inderinnen aus Kaschmir. |
Eine lange
Prozession von Menschen windet sich Richtung Bühne. Fahnen werden geschwenkt,
Preßluftfanfaren gedrückt. Fliegende Händler verkaufen Wasser, Tee und Dosa. Ab
und zu findet sich ein Stand mit Fanartikeln, bunt und billig. Und doch zieht
die Menschenkarawane nicht zu einem Cricketmatch, sondern die besten Plätze
werden gesucht, um das Spektakel der Wachablösung an der indisch-pakistanischen
Grenze beobachten zu können.
Soldaten
beider Länder treten dort in einer ausgeklügelten Choreografie gegeneinander an
und präsentieren ihre Wachbereitschaft in Form einer ritualisierten
Provokation. Und die Show, die sie abliefern, ist wirklich gut! Jeder Schritt
sitzt, jede Drehung passt. Die Gewehre sind blankgeputzt und die Uniformen
phantasievoll drapiert. Manche behaupten, die ganze Aktion sei spontan, doch
das kann nicht wahr sein. Dafür erscheinen die einzelnen Elemente zu perfekt
und zu koordiniert, als daß es ohne Training ginge.
Ich hatte
eher den Eindruck, daß das Hauptmotiv der Performance die Kanalisierung der
Früchte nationalistischer Propaganda ist. Der jeweilige Nachbarstaat wird
negativ dargestellt in den Medien und auch Kinder in der Schule ideologisch
danach ausgerichtet. Kommt dann noch eine Gruppendynamik hinzu, bildet sich die
Masse, die eben Fahnen schwenkt und chauvinistische Sprüche raushaut. Übrigens,
meiner Beobachtung nach auf indischer Seite deutlich stärker ausgeprägt als auf
pakistanischer.
Auf
Aussenstehende wirkt das Ganze skurril und übertrieben, doch ein wenig bleibt
der Eindruck von Glut im Kamin, die nur noch keiner angefacht hat.
Auf dem Weg zur nationalistischen Show, zum Wachwechsel an der Grenze. |
Unschwer zu erkennen, wo man sich befindet. | Kein Zweifel, ein richtiger Fan. |